CMD Kiefergelenksdiagnostik
Kiefergelenke, Zähne und Kaumuskeln sind im Idealfall präzise aufeinander abgestimmt. Dieses hochsensible System ist Teil des Kauorgans, auf welches ein Leben lang viele unterschiedliche Einflüssen wirken.
Liegen Unstimmigkeiten in diesem System vor, treten Schmerzen auf. Wenn die Ursachen einer Funktionsstörung des Kauorgans längere Zeit bestehen, können sie sehr schädigende Auswirkungen mit chronischen Beschwerden haben. Aufgrund der engen Verbindung zur Skelettmuskulatur, können Veränderungen im Kauorgan Einfluss auf die gesamte Körperstatik nehmen. Für den Zahnarzt ist es daher sehr wichtig, Störungen dieses sensiblen Systems frühzeitig zu erkennen und effektiv zu therapieren.
Die zahnärztliche Funktionsdiagnostik und -therapie befasst sich mit der Diagnose und Behandlung von Funktionsstörungen des Kausystems, den craniomandibulären Dysfunktionen. Der Begriff craniomandibuläre Dysfunktion (international abgekürzt CMD) leitet sich her von „Cranium“ (Schädel), „Mandibula“ (Unterkiefer) und Dysfunktion (Fehlfunktion).
Ursachen einer CMD
Das gesunde Kauorgan:
In einem gesunden Kauorgan haben die Ober- und Unterkieferzähne binnen 24 Stunden nur etwa 30 Minuten lang direkten Kontakt zueinander. Kiefergelenke, Kaumuskulatur und Zähne haben somit im Normalfall sehr lange Erholungszeiten.
Funktionsstörungen:
Wird das System gestört, erhöht sich oftmals unbemerkt für den Patienten die Muskelanspannung und somit die Belastung aller beteiligten Strukturen. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass die Anspannungsphasen beim Zähneknirschen oder -pressen ohne Unterbrechung bis zu 45 Minuten andauern können und der gemessene Kaudruck um ein Vielfaches höher ist als beim normalen Kauen. In der Folge treten Beschwerden auf.
Ursachen:
Oftmals geht der Beginn der Beschwerden zeitlich mit einer Kombination von zwei oder mehr Auslösern einher. Ursächlich für eine craniomandibuläre Dysfunktion sind in vielen Fällen Zahnfehlstellungen in Verbindung mit erhöhtem psychischem Stress
- Auslöser für die CMD können in gleicher Weise traumatische Ereignisse wie z. B. Unfälle oder Operationen sein, die mit einer Überdehnung der Kiefergelenke einhergehen.
- Mögliche Ursachen stellen ebenso Fehlstellungen der Zähne oder kieferorthopädische Behandlungen dar.
- Anhaltende ungesunde Körperhaltungen mit Belastung der Schulter-Nacken-Region können ebenfalls zu einer CMD führen.
Wer ist betroffen?
Störungen des Kauorgans finden sich bei ca. 80 % aller Menschen - die meisten Beschwerden sind jedoch derart milde, dass ihnen kein Krankheitswert beigemessen werden kann. 3-5% aller Menschen haben so starke Beschwerden, dass sie ärztlich behandelt werden müssen.
Beschwerden und Folgeerkrankungen der CMD
Akute und chronische Schmerzen
- Zahnschmerzen und Überempfindlichkeiten durch chronische Überbelastung
- Schmerzen im Kiefer- und Gesichtsbereich, mitunter ausstrahlend zu umfassenden Kopfschmerzen insbesondere im Bereich von Schläfe und Wange
- Schmerzen beim Kauen, Sprechen, Schlucken, Gähnen
Zahnschäden aufgrund chronischer Über- und Fehlbelastung:
- Obwohl der Zahnschmelz zu den härtesten Substanzen überhaupt gehört, können Schleifspuren oder auch ein massiver Verlust der Zahnhartsubstanz (Abrasion) auftreten.
- Diese können sowohl einzelne Zähne als auch das gesamte Gebiss betreffen Schmelzrisse und -frakturen, im schlimmsten Fall die Längsfraktur des gesamten Zahnes
- zerstörte Zahnhälse mit Hypersensibilität
- abgestorbene Zahnnerven / tote Zähne aufgrund des zunehmenden Abbaus der Hartsubstanz und des Halteapparates
- Schädigungen des Zahnhalteapparates führen zu Zahnlockerungen, -wanderungen und ggfs. zum Zahnverlust
Muskelverspannungen:
- dauerhafte Überanstrengung der Kaumuskulatur führt zu einer Veränderung der Muskelfasern - der Muskel verhärtet sich und es entstehen kleine schmerzhafte Knötchen, die den Bewegungs-ablauf und das Zusammenspiel von Kiefergelenken und Kaumuskulatur stören
- verspannte Kaumuskulatur kann zu Bewegungsstörungen führen, meist kann der Mund nicht mehr normal weit geöffnet werden
- Verspannungen der Nackenmuskulatur mit Blockaden der Halswirbelsäule sowie Rückenleiden, Beckenschiefstand, Beinlängendifferenzen
Kiefergelenkerkrankungen:
- durch eine chronische Überbelastung können Kiefergelenkentzündungen (Arthritis) und erhebliche Beschädigungen des Bandapparates auftreten.
- die Lage der Gelenkscheibe kann sich in einem oder beiden Gelenken verändern, was oftmals mit Kiefergelenkgeräusche wie Knacken oder Reiben beim Kauen oder weitem Mundöffnen einhergeht
- mitunter kann sich die Gelenkscheibe auch derart verschieben, dass sie die Öffnungsbewegung teilweise oder total blockiert und der Mund nicht mehr normal weit geöffnet werden kann
- möglich sind ebenso Überbeweglichkeiten des Unterkiefers, die als „Ausrenken“ des Kiefergelenks bei weiter Mundöffnung (z. B. beim Gähnen) auftreten
Ohrgeräusche (Tinnitus):
-
aufgrund der engen anatomischen Beziehung der Kiefergelenke zu Mittel- und Innenohr werden mögliche Zusammenhänge von Beschwerden wie Ohrenschmerzen, Tinnitus oder Schwindel mit CMD zunehmend diskutiert
Ein "falscher Biss" kann weit reichende Auswirkungen auf den ganzen Körper haben:
Beschwerden im Bereich der Kiefergelenke, der Gesichts- und Kopfmuskulatur sowie des HWS- und LWS – Bereichs können auf eine CMD zurückzuführen sein. Auch Tinnitus und Schwindel können durch eine CMD verursacht sein. Häufig treten auch sportliche Leistungseinschränkungen durch negative Einwirkungen auf die Ganzkörperstatik auf.
Diese Zusammenhänge sind vielfach unbekannt und werden in ihrer Symptomatik häufig nicht oder erst nach jahrelangen Odysseen der Betroffenen erkannt. Dabei ist die Zahl der Betroffenen hoch: nach Untersuchungen der DGZMK sind 70-80% der Bevölkerung von Fehlstellungen im Kiefergelenkbereich betroffen, 5-10% sind behandlungsbedürftig.
Das „Schmerzmännchen“ verdeutlicht stark vereinfacht, welche Auswirkungen ein Kiefer in Fehlstellung auf den Organismus haben kann: Schulter-und Beckenschiefstand, HWS- oder LWS-Probleme, Muskelverkürzungen und Überdehnungen aber auch Kopf-und Gesichtsschmerz, Tinnitus, Schwindel und Gleichgewichtstörungen können Folgen einer Kiefergelenkfehlstellung sein. Auch sportliche Leistungsprobleme können durch eine Fehlstatik im Biss und daraus resultierende Fehlstellungen ausgelöst werden.
Funktionsdiagnostik
Im Rahmen der Funktionsdiagnostik werden die die Unterkieferbewegungen, die Kaumuskulatur sowie die Kiefergelenke untersucht. Die Funktionsdiagnostik dient dazu, Symptome der Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) zu erkennen.
Die Kiefergelenke sind somit die die einzigen Gelenke, welche primär nicht von Orthopäden, sondern von Zahnärzten untersucht werden. Dies ist sinnvoll, da die Kiefergelenke zusammen mit den Kaumuskeln und den Zähnen Teil des Kauorgans sind.
Wann ist Funktionsdiagnostik wichtig?
Funktionsdiagnostik sollte immer durchgeführt werden vor der Anfertigung größeren Zahnersatzes, umfassenden konservierenden Therapien und kieferorthopädischen Behandlungen sowie bei Vorliegen von Symptomen, welche eine Verdachtsdiagnose auf CMD erlauben.
Klinische und instrumentelle Analyse
Wichtigstes Element im Rahmen der klinischen Untersuchung ist die Erhebung der individuellen Krankheitsgeschichte. Dazu wird der Patienten nach möglichen Symptomen einer CMD befragt
Für den Zahnarzt ist es wichtig zu erfahren, ob
- der Patient das Gefühl hat, der Biss sei nicht mehr stimmig
- die Zähne Beschwerden bei Druck- bzw. Temperaturunterschieden bereiten
- nächtlich mit den Zähnen gepresst oder geknirscht wird
- die Unterkieferbeweglichkeit und die Mundöffnung eingeschränkt sind
- der Patient Knack- und Reibegeräusche bei Mundöffnung bzw. -schluss bemerkt
- Schmerzen im Bereich der Wange und des Ohres bestehen Verspannungen der Nacken-, Schultermuskulatur vorliegen
- der Patient des Öfteren unter Kopfschmerzen / Migräne leide
- weitere orthopädische Probleme wie Wirbelsäulenbeschwerden, Beckenschiefstand oder Beinlängendifferenz vorliegen
- der Patient unter Schwindel, Ohrgeräuschen oder Tinnitus leidet
Teil der klinischen Untersuchung ist ferner die manuelle Diagnostik. Mittels gezielter Handgriffe wird in spezifischen Belastungstests detailliert ermittelt, welche Strukturen des Kauorgans geschädigt sind. Bei Verdacht auf eine schwere Erkrankung der Kiefergelenke können Röntgenaufnahmen erforderlich sein, ggfs. ergänzt durch eine Magnetresonanztomographie (MRT).
Im Rahmen der klinischen Untersuchung können technisch aufwändige Verfahren der instrumentellen Funktionsdiagnostik Anwendung finden. Diese reichen von der Montage und Analyse der Kiefermodelle in einem Simulator bis zur computergestützten Aufzeichnung der Bewegungsbahnen des Unterkiefers, wie beispielsweise mit dem Sinfomed K7 System.
Mit Hilfe des Sinfomed K7 werden die patientenindividuellen Kiefergelenksbahnen computergestützt in drei Ebenen exakt erfasst und aufgezeichnet. Eine magnetresonanzmessung Messtechnik erlaubt eine berührungsfreie und damit für den Patienten sehr komfortable Messung. Diese ist präzise und reproduzierbar.
Diese hohe Aufzeichnungsgenauigkeit des Sinfomed K7 in allen drei Dimensionen erlaubt eine sichere Diagnose und Therapie von Funktionserkrankungen des Kauorgans.
Im funktionstherapeutischen bzw. prothetischen Behandlungsverlauf erlauben die gewonnenen Messergebnisse das präzise Einstellen einer naturgemäßen oder therapeutischen Kiefergelenkposition unter Online-Kontrolle. Die Verwertung der patientenindividuellen Kiefergelenkbahnen zur Einstellung vollindividueller Artikulatoren (Kiefergelenk-Kopie für den Zahntechniker) ermöglicht die Fertigung vollständig gelenkbahnbezogenen Zahnersatzes und ebensolcher Schienen.
Warum ist Funktionsdiagnostik wichtig?
- Die Funktionsanalyse ist absolute Voraussetzung zur Therapie von Kiefergelenkserkrankungen.
- Im Rahmen einer prothetischen oder konservierenden Behandlung, ist die Funktionsanalyse eine wichtige Voraussetzung zur Erzielung eines ästhetisch wie funktionell hochwertigen Ergebnisses. Ästhetik und Funktion müssen sich ergänzen – nicht gegenseitig ausschließen.
- Die Untersuchung des Zusammenspiels von Kiefergelenken, Zähnen und Muskeln, die Funktionsdiagnostik, ist bei der Anfertigung therapeutischer Schienen und neuen Zahnersatzes von höchster Wichtigkeit. Nur wenn Zahnersatz optimal in das individuelle Gesamtgefüge eingepasst ist, kann das Kausystem langfristig gut funktionieren und gesund bleiben.
Therapie einer CMD
Eine Therapie von Kiefergelenkserkrankungen bezieht fast immer Maßnahmen am gesamten Kauorgan mit ein. Bei leichter Ausprägung des Krankheitsbildes können mitunter vom Patienten selbst durchzuführende Maßnahmen zu einer deutlichen Linderung führen. Dazu können gehören
Stressabbau und gesunde Lebensweise:
- Vielfach entstehen Fehlverhaltensweisen wie Zähneknirschen und -pressen als körperliche Reaktion auf Anspannung, Belastung und Stress. Redewendungen wie "die Zähne zusammenbeißen" sind hier leider geradezu wörtlich zu verstehen.
- Die Kaumuskeln können größte Kräfte erzeugen, welche die Zähne und auch die Kiefergelenke erheblich überbelasten, da körpereigene Schutzmechanismen in diesen Phasen nicht effektiv funktionieren. Nach nächtlichem Knirschen oder Pressen zeigen sich oftmals schmerzhaften Muskelverspannungen. Diese können sich als Kopfschmerzen am frühen Morgen äußern. Um eine langfristige Beschwerdefreiheit zu erreichen, ist es bedeutsam, für Ausgeglichenheit und Entspannung zu sorgen. Nur dies erlaubt einen ruhigen und erholsamen Schlaf ohne nächtliche Stressbewältigung.
Schonung:
- Um Zähne, Kaumuskulatur und Kiefergelenke zu schonen, kann es sinnvoll sein, zeitweise auf harte Nahrungsmittel wie Äpfel, Brotkrusten, etc. zu verzichten. Ferner ist es oftmals hilfreich in Zeiten akuter Beschwerden langes Sprechen und weite Mundöffnung zu vermeiden. Ebenso sollte auf eine „Dauerbelastung“ durch Kaugummi kauen verzichtet werden.
Muskelübungen:
- Um die Kaumuskulatur zu lockern und zu entspannen, können geradlinige Mundöffnungs- und Mundschlussbewegungen hilfreich sein. Dabei sollte ein Kontakt von Ober- und Unterkieferzähnen vermieden werden. Insbesondere bei konzentrierter Arbeit sollte man sich von Zeit zu Zeit vergegenwärtigen, ob die Kaumuskulatur entspannt ist oder die Zähne fest aufeinandergepresst werden. Die richtige Haltung ist die „Ruheschwebe“, in der sich die Ober- und Unterkieferzähne nicht berühren. Zwischen ihnen sollte ein Spalt von 2-3mm sein. Beobachtet man, dass die Zähne in den verschiedensten Situationen fest aufeinander gepresst sind oder aneinander reiben, sollte man anstreben, sich diese Verhaltensweise abzugewöhnen. Je häufiger man sich selbst beobachtet und korrigiert, desto größer der Lerneffekt.
- In manchen Fällen können Selbstmassage der Kaumuskulatur oder abendliche feucht-warme Umschläge zur Entspannung hilfreich sein.
Schlafhaltung:
- Seiten- und Bauchlage können die Kiefergelenke einseitig durch Druck belasten. Lindernd bei Beschwerden ist oftmals eine Rückenlage mit nicht zu hohem Kissen.
Langfristigen Behandlungserfolg durch interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Behandlung einer manifesten CMD erfordert oftmals die Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit von Zahnarzt, HNO-Ärzten, Neurologen, Orthopäden und Pysiotherapeuten um einen langfristigen Behandlungserfolg zu erreichen. Je nach Art und Schweregrad der Kiefergelenkserkrankung sowie der mitbetroffenen Strukturen können beispielsweise folgende Therapiemaßnahmen einzeln oder in Kombination durchgeführt werden:
Schienentherapie:
- Therapeutische Aufbissbehelfe mit Präzisionskauflächen simulieren über einen längeren Zeitraum die gesunde Bissposition. Ist ein „Wohlbefinden“ beim Patienten eingetreten, können an den natürlichen Zähnen entsprechende Veränderungen vorgenommen werden. Im Falle einer notwendigen prothetischen Versorgung, werden die Eigenschaften der Schiene initial auf einen präzise hergestellten provisorischen und anschließend auf den endgültigen Zahnersatz übertragen.
Krankengymnastik und physikalische Therapie:
- Mittels Einwirkung von Wärme bzw. Kälte können Beschwerden gelindert und die Muskulatur entspannt werden. Dank manueller Techniken im Rahmen der Krankengymnastik können die Kiefergelenke mobilisiert und muskuläre Verspannungen gelöst werden. Der Physiotherapeut vermag zudem, mögliche negative Auswirkungen der CMD auf die Wirbelsäule und das Becken zu untersuchen und ggfs. manualtherapeutisch zu behandeln.
Medikamente:
- In der akuten Phase kann es mitunter erforderlich sein, schmerzlindernde und entzündungshemmende Medikamente zu verordnen. In den meisten Fällen, ist dieser Zeitraum jedoch nur kurz und die Medikamente können bald wieder abgesetzt werden.
Zahnmedizinische Maßnahmen:
- Die Regulierung des Biss kann in Form einer Einschleiftherapie, durch Versorgung mittels konservierender Restaurationen, durch das Eingliedern von Zahnersatz oder kieferorthopädisch erfolgen.
Craniomandibuläre Fehlfunktionen (Dysfunktionen) sind in der Regel durchaus schmerzhaft und beeinträchtigend, aber praktisch nie gefährlich oder lebensbedrohend. Dank moderner Diagnose- und Therapiemittel kann Patienten in den allermeisten Fällen sehr gut geholfen werden.